Susanne G NTE
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Erfahrungsbeschreibung:

Es war ein banaler Unfall. Der Busfahrer trat zu heftig auf die Bremse. Es schleuderte mich durch den halben Bus, bis ich mich mit dem Oberkörper buchstäblich um eine Hydraulikstange wickelte, die Fahrerkabine und Tür verbindet. Die Ambulanz brachte mich ins Krankenhaus mit dem Verdacht auf einen Rippenbruch. Durch einen Zufall stellte sich heraus, dass da mehr war, obwohl man mich schon nach Hause schicken wollte. Mit massiven inneren Blutungen und drei zerstörten Organen wurde ich mit Blaulicht nachts um 2 Uhr in ein anderes Krankenhaus gebracht, das auf Schwerverletzte spezialisiert ist. Im Schockraum verlor ich die Besinnung...

Auf einer schmalen Liege liegt ein Mensch, notdürftig bedeckt. Zu seine Füssen steht ein grosser Kreis aus Metall. Ein CT-Gerät. Links und rechts davon stehen mehrere Gestalten, ihre Konturen bleiben im Gegensatz zu der Maschine diffus. Niemand bewegt sich. Der Raum dahinter ist nicht zu erkennen. Es ist dunkel und still.

Das auf dem Schragen bin zweifellos ich. Wie kann das sein, wie komme ich hierher, und wo bin ich - wenn das mein Körper ist? Ich bin beides, Patientin und Zuschauerin. Ich stehe drei Meter von der Liege entfernt, am Rand, dort wo die Dunkelheit beginnt.

Mein Körper ringt nach Luft. Der Kragen um den Hals sitzt eng, aber das ist es nicht. Hilflos und ausgeliefert liege ich da. Die Not ist so deutlich, dass ich sie in dieser Entfernung spüre. Meine Arme sind über den Kopf gezogen und fixiert, es ist so unerbittlich wie unerträglich. Es gibt kein Entkommen. Mein Körper ist schwach. Die sechs Gestalten um das CT sind gesichtslos und wirken wie eingefroren. Wenn sie mir schon nicht helfen, warum helfe ich mir selbst nicht? Seltsam unbeteiligt schaue ich zu.

Ein Geräusch durchdringt immer wieder - und auch gleichzeitig - die Stille. Mich betrifft es nicht, und es berührt mich nicht. Ich weiss nur um die Dringlichkeit. Schmerzen hat der Körper nicht, aber ich spüre, dass etwas nicht stimmt. Da tobt ein Kampf um (m)ein Leben - und ich verliere.

Mir wird klar: Ich sehe mir selbst beim Sterben zu. Ich ergebe mich in das Unvermeidliche.

Ein Schatten schiebt sich von rechts zwischen den Tisch und mich, zwischen die beiden Teile meines Ich. Er ähnelt einem Menschen, hat aber so gar nichts Menschliches an sich. Wer immer er ist, der Schatten hat eine Botschaft für mich. Ich nenne ihn Schatten, weil mir kein besserer Begriff einfällt, wie ich an der Seitenlinie hat er keine Form, keine Masse; durchsichtig ist er aber auch nicht... Angst vor dem Schatten habe ich keine, aber ich weiss, das ist kein realer oder heilender Besucher. Die Dunkelheit zieht sich um mich zusammen.

Ich kann nicht fühlen, ob der Körper noch lebt oder nicht...

An diesen Leib, der nur wenige Meter entfernt wegdämmert, bin ich nicht mehr gebunden. Die letzte Sicherheitsleine hat der Schatten gekappt; er muss es gewesen sein.

Neue, glasklare Gefühle überfluten mich: Was Verlassenheit war, wandelt sich in Geborgenheit. Was Ausgeliefertsein (das letzte reale Gefühl im Schockraum) war, wird Geborgenheit. Aus Angst wird Zuversicht. Alles, was zuvor bedrückend und voller Pein war, wird schön und leicht. Als sei ein Schleier von meiner Existenz gezogen worden.

Der Warnton. In die Szene kommt Bewegung. Es sind alles Männer, die um meinen Körper herumstehen. Einen nehme ich besonders wahr. Er steht am Kopfende hinter der Liege und strahlt eine sanfte Autorität aus. Älter, schmächtig, mit einem struppigen Haarbüschel auf dem Kopf und traurigen Augen, die ich nie vergessen werde. Dieser Mann hat schon (zu) viel gesehen. Er ist der einzige mit einem erkennbaren Gesicht.

Er hebt den Kopf und schaut zu mir herüber, mir direkt in die Augen. Als ob er wüsste, dass da eine verlorene Seele steht, die nicht weiss, was sie tun soll. Er lächelt milde.

Viele Wochen später suche ich auf der Webseite des Krankenhauses nach diesem Mann, aus reiner Neugierde. Tatsächlich finde ich sein Bild, tief vergraben in der Datenbank. Ich habe den Mann weder vor dem Unfall noch später je getroffen.

Ich weiss nicht, wohin... Wer entscheidet, was mit meiner Seele geschehen soll - ich bin es nicht. Das liegt nicht mehr in meiner Macht. Noch nie war ich mir einer Sache so sicher. Der Schatten ist fort. Ich glaube, er hat seine Botschaft überbracht. Auch wenn ich sie nicht verstehe.

Was von mir übrig ist, ist völlig ruhig. Ein Gefühl von grenzenloser Freiheit und Klarheit überwältigt mich. Frieden hüllt mich ein wie eine warme Decke. Nichts mehr zählt, was die physische Welt zusammenhält. Ich bin ganz selbstverständlich ein Teil von ALLEM.

Trotzdem spüre ich Unruhe rund um die Liege. Eines der gesichtslosen Wesen steht am Infusionsständer. Eine (menschliche) Gestalt kommt von rechts und spritzt eine goldene Flüssigkeit in das Ventil des Infusionsbeutels.

Links von mir steht aus dem Nichts ein Tor in der Dunkelheit. Der Rundbogen ist wunderschön, schlicht und erhaben zugleich. Das Licht darin überstrahlt alles. Mit dem schwindenden Lichtkegel über meinem Körper hat es nichts gemein. Es ist ein Leuchtfeuer der Hoffnung in der Dunkelheit. Das Tor zieht mich magisch an, und ich gleite darauf zu. Die leblose Gestalt auf dem Schragen lasse ich zurück. Sie wird ihren Weg finden. Der Sog ist übermächtig. Ich will das Licht berühren.

Mit dem Aufwachen auf der Intensivstation überrollt mich die Erkenntnis wie ein Traktor: Ich bin zurück in meinem Körper. Es kommt einer Strafe gleich. Mein Körper hat nicht nur höllische Schmerzen (die nun wieder die meinen sind), er ist zu eng und zu schwach.

Der Durchgang blieb mir verwehrt. Just an der Schwelle riss mich etwas zurück oder stiess mich fort, das kann ich nicht genau sagen. Es war nicht meine Entscheidung. Nur eines weiss ich mit Sicherheit - ein Teil meiner Seele ist an der Grenze verloren gegangen. Vielleicht hat sie den Übergang geschafft? Die Wahrnehmung, die mich seit dem ersten wachen Moment begleitet, kann ich nicht anders beschreiben als das eisige Gefühl eines Verlustes, der nicht wieder gutzumachen ist.

Ich empfinde ein überwältigendes Bedauern, dass es mir in dieser Nacht nicht gestattet war, den Weg zu Ende zu gehen.

Das ist bis heute so. Zu dem Bedauern mischt sich eine Portion Neugierde, was sich hinter dem Vorhang aus Licht verbirgt, den ich berührt habe, aber nicht in der Lage war, beiseite zu ziehen. Meine Therapeutin fragte mich einmal, was ich dort zu finden hoffe. Ein Universum, sagte ich.

Körper und Seele sind wiederwillig vereint. Aber es passt nicht. Es ist wie die Farbverschiebung in einem gedruckten Bild. Die Druckplatten haben die gleiche Form, aber insgesamt bleibt das Bild konturlos und unscharf.

Wenn dieser Text eine Schwachstelle hat, dann ist es die lineare Erzählung. In meiner Erinnerung geschieht alles gleichzeitig. Müsste ich es mit den limitierten Möglichkeiten unserer Sprache beschreiben, würde ich sagen, es geschah mit Lichtgeschwindigkeit in Zeitlupe. Bis heute weiss ich nicht, wieviele Stunden es dauerte, von dem Moment an, in dem ich im Schockraum wegdämmerte bis zu dem Erschrecken beim Aufwachen auf der Intensivstation.

Dass ich in jener Nacht tatsächlich in einem CT war, weiss ich, weil die Prozedur mehrere Male wiederholt werden musste, um zu kontrollieren, ob die inneren Blutungen gestoppt waren. Diese Male konnte ich die Arme selbst oben halten; der Sandsack war nicht nötig. An das Gesicht des Arztes denke ich auch heute noch manchmal. Sein Lächeln war tröstlich, als wolle er sagen: Es ist gut, du kannst gehen. Eigenartig für einen Arzt. Es tut mir leid, dass ich keine Gelegenheit hatte, ihm das zu sagen. Damals konnte ich nicht darüber sprechen. Und wie gesagt, im Leben bin ich ihm nie begegnet.

Gab es zur Zeit Ihrer Erfahrung eine Verbindung mit einem lebensbedrohlichen Ereignis? Ja Nach einem Unfall wurde ich in einem staatlichen Krankenhaus behandelt. Nur durch einen Zufall entdeckte man lebensbedrohliche innere Blutungen; zuerst wollte man mich nach Hause schicken. Ich wurde mit Blaulicht in ein Krankenhaus mit Schockraum verlegt. Dort verlor ich das Bewusstsein. Was zuerst als gebrochene Rippe diagnostiziert wurde, stellte sich als hochgradiges Polytrauma mit etlichen beteiligten inneren Organen heraus. Ich verlor innerlich viel Blut, meine Niere war praktisch in zwei Teile gerissen. Reanimiert wurde ich meines Wissens nicht, aber es sei sehr knapp gewesen, sagte mit der Arzt auf der Intensivstation einige Tage später.

War die Erfahrung schwierig in Worten auszudrücken? Ja Die limitierten Möglichkeiten unserer Sprache. Worte versagen, um das Erlebte adäquat zu beschreiben. Wie kann man etwas erzählen, wenn die Massstäbe fehlen? Was immer ich sage, klingt hohl, holprig und unvollständig. Wäre es reine Fantasie, müsste ich nicht um jedes Wort ringen. Beispielsweise ist es zu linear geschildert, in meiner Erinnerung geschieht alles gleichzeitig. Mit Lichtgeschwindigkleit in Zeitlupe, um es zu umschreiben.

Zu welcher Zeit während Ihrer Erfahrung waren Sie im höchsten Zustand von Wachheit und Bewusstheit? Mehr Bewusstheit und Wachheit als normal Während ich mir selbst beim Sterben zusah und als der Torbogen auftauchte Ich fühlte das ganze Universum in mir.

Bitte vergleichen Sie Ihre Sicht während der Erfahrung mit Ihrer normalen Alltagssicht direkt vor der Zeit Ihrer Erfahrung. Es war plötzlich alles glasklar. Es gab keine Fragen mehr, alle waren beantwortet. Ich war eins mit dem Universum.

Bitte vergleichen Sie Ihr Gehör während der Erfahrung mit Ihrem normalen Alltagsgehör direkt vor der Zeit Ihrer Erfahrung. Sensibilisiert, viel aufmerksamer und hellhöriger

Sahen oder hörten Sie irgendwelche irdischen Ereignisse die während einer Zeit geschahen, als Ihr Bewusstsein / Ihre Wahrnehmung von Ihrem physischen / irdischen Körper getrennt war? Ja Neben der Liege, auf der mein Körper war, stand ein Arzt. Ich stand drei Meter entfernt (nicht schwebend). Der Arzt hob den Blick und schaute mir direkt in die Augen. Später fand ich sein Bild in der Datenbank des Krankenhauses. Ich habe den Mann weder vorher noch nachher jemals in Persona getroffen.

Welche Gefühle hatten Sie während Ihrer Erfahrung? Zuerst spürte ich die Not meines Körpers. Eine starke Emotion - warum hilft niemand. Dann Gleichgültigkeit; ich kann nichts tun. Dann überrollten mich die schönsten Gefühle des Universums. Ich war leicht und frei.

Kamen Sie in oder durch einen Tunnel? Unsicher Ich sah ein Tor in der Dunkelheit, die mich umgab, auftauchen. Es kam aus dem Nichts. Ich wollte und musste darauf zugleiten. Ob man das als Tunnel beschreiben kann, bin ich nicht sicher.

Sahen Sie ein unirdisches Licht? Ja Das Innere des Torbogens strahlte in einem wunderschönen, reinen und hellen Licht. Mit keinem zu vergleichen, das ich zuvor je gesehen hatte. Es zog mich an sich.

Begegneten Sie einem mystischen Wesen oder einer mystischen Präsenz oder hörten Sie eine unbekannte Stimme? Ich begegnete einem Wesen, oder einer Stimme deutlich mystischen und unirdischen Ursprungs EIn Schatten schob sich zwischen meine Seele und meinen Körper. Ich kann es nur als Schatten bezeichnen. Engel würde ich es nicht nennen, obwohl ich da nicht sicher bin. Der Schatten hatte eine Botschaft für mich und er trennte die Verbindung zu meinem Körper. So dass eine Seele frei war.

Nahmen Sie während Ihrer Erfahrung vergangene Ereignisse Ihres Lebens wahr? Nein

Schienen Sie in eine andere, nicht irdische Welt einzutreten? Nein

Schien die Zeit schneller oder langsamer zu laufen? Alles schien gleichzeitig zu geschehen; oder die Zeit blieb stehen oder verlor jede Bedeutung Ich hörte ein Warnsignal, ich sah die Ärzte um meinem Körper herum, ich nahm den Schatten wahr und sah den Torbogen. Alles geschah gleichzeitig. Die Zeit hatte in diesem Rahmen keine Bedeutung mehr.

Schienen Sie plötzlich alles zu verstehen?Alles das Universum betreffend Ich war ein mit dem Universum, es gab keine offenen Fragen mehr.

Erreichten Sie eine Grenze oder eine begrenzende physische Struktur? Ja Das Tor mit dem Vorhang aus strahlendem Licht war eine eindeutige Grenze, die zu durchschreiten eingeladen war. Direkt am Übergang wurde ich zurückgestossen oder weggezogen.

Nahmen Sie Szenen aus der Zukunft wahr? Nein

Hatten Sie das Gefühl, eine besondere Erkenntnis zu haben, oder einen Zweck zu erkennen? Nein

Bitte erörtern Sie alle Veränderungen, die eventuell nach Ihrer Erfahrung in Ihrem Leben stattfanden: Large changes in my life ich spüre ein grosses Bedauern, dass ich in dieser Nacht den Weg nicht zu Ende gehen durfte. Das hat mich bestärkt, mein Leben mehr zu geniessen. Angst vor dem Tod habe ich nicht mehr.

Veränderten sich nach Ihrer Erfahrung als direktes Resultat daraus Ihre Werte oder Überzeugungen? Ja Obwohl ich in dieser Nacht gern "gestorben" wäre. - besser ist die Formulierung, dass mir es nicht gestattet war, den Weg zu Ende zu gehen - lebe ich gern und versuche, den Rest meines Lebens sinnvoll zu verbringen. Ich engagiere mich ehrenamtlich.

Hatten Sie nach Ihrer Erfahrung irgendwelche übernatürliche, ungewöhnliche oder besondere Gaben, die Sie vordem nicht hatten? Nein

Haben Sie Ihre Erfahrung jemals anderen mitgeteilt? Ja Ich habe mich zuvor nie mit dem Thema befasst. Nach dem Krankenhaus, der Reha und weiteren Operationen begann ich mich zu informieren und war geschockt, wie sehr meine Erfahrung sich mit anderen vergleichen liess. Die ausserkörperliche Erfahrung, das Licht, das Gefühl von Frieden und das Einssein mit dem Universum.

Wussten Sie vor Ihrer Erfahrung bereits irgendetwas über Nahtoderfahrungen (NTE)? Nein

Wie beurteilten Sie die Wirklichkeit Ihrer Erfahrung kurz (Tage oder Wochen) danach? Erfahrung war definitiv real In meiner Erfahrung war ich in einem CT und meine Arme wurden mit einem Sandsack fixiert. Diese Erinnerung ist die schlimmste. Ein Arzt aus meiner Erinnerung schaute mich, bzw. meine Seele direkt an. Später, auf der Intensivstation, wurde ich mehrmals in einen CT-Raum gebracht (nicht derselbe, ich habe gefragt) und den Arzt habe ich im Bildarchiv des Krankenhauses gefunden. Von der Liege aus hätte das Geschehen nie aus dieser Perspektive erleben bzw. beschreiben können.

Wie beurteilen Sie jetzt die Wirklichkeit Ihrer Erfahrung? Erfahrung war definitiv real S.o.

Haben sich Ihre Beziehungen als Resultat Ihrer Erfahrung spezifisch verändert? Nein

Haben sich als Resultat Ihrer Erfahrung Ihre religiösen Überzeugungen/Ihre spirituellen Praktiken spezifisch verändert? Nein

Hat irgendetwas irgendwann in Ihrem Leben irgendeinen Teil der Erfahrung reproduziert? Nein

Haben die gestellten Fragen und die Informationen, die Sie uns gegeben haben, Ihre Erfahrung genau und umfassend beschrieben? Nein Auch nach vier Jahren ist es sehr schwierig, die richtigen Worte zu finden. Worte können nie das ganze Bild beschreiben oder die Tiefe der Gefühle. Aber soweit es unsere lineare Sprache in der Lage ist, habe ich es so genau wie möglich geschildert.

Gibt es irgendwelche anderen Fragen, die wir stellen könnten, um Ihnen zu helfen, Ihre Erfahrung zu vermitteln? Keine

ibt es einen oder mehrere Teile Ihrer Erfahrung, die für Sie besonders bedeutungsvoll oder wichtig sind? Ich habe keine Angst vor dem Tod mehr.

Gibt es im Bezug auf Ihre Erfahrung irgendetwas, was Sie noch hinzufügen wollen? Ich staune, wie glasklar meine Erinnerung bis heute ist.

ls ich auf der Intensivstation aufwachte, wusste ich sofort, dass ich etwas Unbeschreibliches und unendlich Wertvolles erfahren hatte. Das Gefühl, das ein Teil meiner Seele mich verlassen hat, belastet mich bis zum heutigen Tag.